Henning König leitet gemeinsam mit Martin Klein das Architekturbüro morger partner architekten in Basel. Dem Architekturstudium an der HTW Dresden folgten in den letzten 20 Jahren Karriereschritte in Dresden und Basel. Nachdem er 2012 zum Partner wurde, ist er seit 2019 zusammen mit Martin Klein auch Inhaber von morger partner architekten. Mit ihm sprachen wir über das Thema Nachhaltigkeit in der Architektur.
Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Wie wichtig ist Ihnen dieses Thema persönlich?
Das ist direkt schon eine der komplexeren Fragen ... Selbstverständlich kommt man gar nicht umhin, darüber nachzudenken und das eigene Handeln zu hinterfragen. Es ist global gesehen ein wichtiges Thema, betrifft letztlich auch mich persönlich und natürlich auch meinen Beruf als Architekt. Wichtig ist mir dabei, vernünftig und ganzheitlich mit dem Thema umzugehen und es nicht bloss als Label zu benutzen.
Nachhaltigkeit wird oft auf den ökologischen Aspekt reduziert. In welchen Bereichen finden Sie es wichtig, langfristige Lösungen zu finden?
Nachhaltigkeit betrifft auch soziokulturelle und wirtschaftliche Faktoren. Auf das Bauwesen bezogen bedeutet das mehr als nur die Verwendung bestimmter Materialien und Technologien. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Flächen und Ressourcen ist ebenso wichtig wie schon bei der Planung Gebäude langfristig und in Lebenszyklen zu denken.
Architektur kann also dazu beitragen, ein Gebäude nachhaltiger zu machen?
Ja, schliesslich sollte ein Bauwerk möglichst lange existieren. Das kann es nur, wenn die Nutzer:innen lange Freude daran haben und es sich gut an Bedürfnisse an- sowie in die Umgebung einpasst. Dafür muss ich möglichst auch zukünftige Veränderungen berücksichtigen. Kann man es z.B. umnutzen oder weiterbauen? Solche Faktoren machen es aus meiner Sicht nachhaltiger als einfach nur Holz oder Solarpaneele einzubauen. Ausschliesslich auf solche »vermeintlich ökologischen« Bauteile zu setzen ist – ich möchte nicht sagen Etikettenschwindel – aber für mich kein zu Ende gedachtes Konzept. Es geht darum, im ureigensten Sinne Architektur zu erschaffen, die bleibt. Wenn schon Energie dafür aufgewendet wurde, etwas zu erstellen, sollte es sinnvollerweise auch lange benutzt werden können.
Können sie als Architekt Nachhaltigkeit fördern?
Unsere Gesellschaft lässt sich häufig leider nur schwer oder nur sehr träge verändern. Gewohnheiten und Denkweisen müssen sich wandeln. Nachhaltiges Bauen heisst, neben der Nutzung von langlebigen und bestenfalls wiederverwertbaren Materialien, die Bedürfnisse kommender Generationen mitzudenken. Ein bis ins Detail nachhaltiges Bauwerk hat seinen Preis. Oft ist dabei der persönliche Antrieb der Bauherrschaft für das Thema nicht ausreichend, um alle Kosten einer entsprechenden Lösung zu tragen. Ein »Leuchtturmprojekt« für Nachhaltigkeit vierliert so leider schnell an Strahlkraft. Darum ist es wichtig, Menschen auch emotional abzuholen und für Nachhaltigkeit zu begeistern. Bauen ist heute eine komplexe, multidisziplinäre Aufgabe und tatsächlich jedes Projekt ein Prototyp. Mit neuen Menschen, neuen Anforderungen und einer neuen Ausgangslage. So entsteht immer ein Einzelstück, für das der ideale Weg, auch in Bezug auf Nachhaltigkeit, gefunden werden muss.
»Es geht darum, im ureigensten Sinne Architektur zu erschaffen, die bleibt.«
Von Ihrem Architekturbüro stammt der Entwurf für das Ypsilon in Oberkirch. Welche nachhaltigen Elemente sind an diesem Projekt zu finden?
Man muss wissen, wie dieses Objekt entstanden ist. Am Anfang stand ein Studienauftrag mit der Aufgabe die städtebaulich optimale Ausnutzung für diesen Ort am Eingang der Gemeinde Oberkirch herauszufinden. Das Gelände einer ehemaligen Autowerkstatt lag brach und sollte einer neuen Nutzung mit Wohnen und Gewerbe zugeführt werden. Wir haben uns zunächst überlegt, wie ein Gebäude an diesem Ort aussehen muss. Mehrere Einzelgebäude schienen nicht effizient, eine Grossüberbauung würde hingegen den Ort zerstören. Trotzdem wollten wir eine Art kleines Zentrum kreieren, welches zwar den Ort zeitgemäss verdichtet, aber gleichzeitig den ländlichen Charakter erhält.
Das gelang uns schlussendlich mit einem zusammenhängenden Sockelgeschoss, das über gezielte Knicke und Rücksprünge drei differenziert nutzbare Aussenbereiche kreiert. Darüber sind drei Wohngeschosse angeordnet, die quasi wie Einzelvolumen wirken und die städtebauliche Körnung der umliegenden Bebauungen aufnehmen. Das Erdgeschoss als muraler Sockel aus eingefärbtem Sichtbeton nimmt die holzverkleideten oberen Stockwerke mit geneigten Dachformen auf. So gesehen kann dies als Interpretation der ortstypischen Bestandsbauten gelesen werden.
Der Vorschlag überzeugte schliesslich im Wettbewerb, weil er neben der gewünschten höheren Flächenausnutzung, also Verdichtung, dennoch den ortstypischen Charakter in Volumetrie und Materialisierung geschickt bewahrt.
Auch im ländlichen Raum ist Nachverdichtung ein wichtiges Thema, sie muss jedoch dem örtlichen Kontext sowie Nutzerbedürfnissen gerecht werden. Wir glauben, dass uns das beim Projekt Ypsilon sehr gut gelungen ist und es somit lange Zeit bestehen bleibt. Das ist für mich vielleicht das wichtigste nachhaltige Element an diesem Gebäude. Die schnelle Erstvermietung, noch vor der Fertigstellung, ist möglicherweise ein erstes Indiz dafür.
Sehen Sie Potenzial, künftige Bauten noch nachhaltiger zu gestalten?
Baulich und architektonisch gibt es bereits umfangreiche Möglichkeiten, sicherlich auch sehr viel was noch zu erforschen ist. Denken Sie an das Thema Umnutzung und Weiterbauen, denken Sie an das Thema Kreislaufwirtschaft, an ressourcenschonende Baustoffe und möglichst kurze Transportwege usw. Wir brauchen ein Mix aus möglichst vielen Ansätzen. Jedes Projekt benötigt dabei eine individuelle Beurteilung der Möglichkeiten in Abhängigkeit von Ort, Programmatik, Bedürfnissen von Bauherrschaft sowie Nutzern, um die Akzeptanz und damit eine erfolgreich nachhaltige Umsetzung des Bauvorhabens sicherzustellen.
Was ist Ihr persönliches Highlight am Ypsilon?
Für mich sind das beim Ypsilon architektonische Elemente, die am Ende auch das langfristige Bestehen des Bauwerks mittragen. Zum einen ist es der murale Gebäudesockel mit seiner feinen Reliefierung. Diese scheint selbstverständlich und unauffällig, ist aber sehr wichtig für die Erscheinung und Masstäblichkeit des Gebäudes und in der technischen Umsetzung recht anspruchsvoll. Zum anderen sind es die vielfältigen Grundrisse, die durch ihren hohen Wohnwert ebenfalls zur Langlebigkeit und damit auch zur Nachhaltigkeit des Gebäudes beitragen.
Aber das bemerkenswerteste war für mich die konstruktive Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft und Gross. Hier kamen Anspruch, Kompetenz und das Verständnis für die nachhaltige Qualität eines Bauwerkes zusammen. Wenn alle Parteien Interesse und Spass auch an kleinsten Details haben, führt das zu diesem sehr schönen Ergebnis.